Psychische Flexibilität

Die meisten psychischen Störungen gehen mit einer bestimmten psychischen Rigidiät einher, die die Verhaltensoptionen eines Menschen erheblich einschränken. Die Acceptance und Commitment Therapie nach Steven Hayes, beschreibt sechs grundlegende Faktoren für psychische Flexibilität. Doch erst einmal schauen wir, was als grundlegender Mechanismus für die Entstehung der meisten psychischen Störungen angenommen wird.

Bezugsrahmentheorie

Ganz grob vereinfacht besagt die Bezugsrahmentheorie, dass der Mensch dazu in der Lage ist verschiedene Reize miteinander in Beziehung zu setzen. Er wird diese Informationen, die er miteinanderverknüpft, dazu nutzen, Hypothesen über die Wirklichkeit zu generieren. Diese werden maßgeblichen Einfluss auf sein Handeln nehmen. Damit kann das Wissen um ein Ursache-Wirkungsproblem auf einen anderen Kontext angewandt werden. Dies ist gleichzeitig Fluch und Segen: Durch die Generalisierung sind wir adaptiver in der Problemlösung und es gelingt uns besser die Zukunft zu prognostizieren. Wir können aber auch fiktive Beziehungen herstellen, die weder wahrheitsfähig, noch wahrheitsplfichtig sind.

Wir alle kennen Einhörner. Das sind Pferde mit einem Horn. Wir können uns problemlos grün-pink gestreifte Einhörner mit Glitzermähne auf Rollschuhen vorstellen, obwohl wir sie nie gesehen haben. Leider stellen wir uns auch vor, dass unser Nachbar uns nicht mag, weil er vergessen hat uns zu grüßen, oder dass unsere Freundin uns verlassen will, weil sie gerade gedankenverloren vor sich hinblickt. Kurz: Menschen sind schwachsinnsproduzierende Maschinen.

Wir produzieren von morgens bis abends Schwachsinn. Gedanken, die weder warheitsfähig noch wahrheitsplfichtig sind und wir nehmen sie ernst – zu ernst. Die Acceptance und Commiment Therapie setzt genau hier an. Ihr Ziel ist im Wesentlichen uns wertegeleitetes Handeln zu ermöglichen, obwohl wir gerade Dinge erleben die belastend sind, weil unser Gehirn Grütze produziert.

Das Hexaflex – Psychische Flexibilität in sechs Faktoren

Die grundlegenden Faktoren des Hexaflex sind Achtsamkeit, Akzeptanz, Defusion, Beobachterselbst, Werte und Handeln. Diese Moderatoren der psychischen Flexibilität bestimmen, wie gut wir es schaffen mit psychischen Belastungen umzugehen.

Achtsamkeit

Mit Achtsamkeit ist die Fähigkeit gemeint, seine Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu lenken. Viele Störungen sind damit verknüpft, dass man sich Gedanklich in der Zukunft oder der Vergangenheit befindet. Depressionen gehen häufig damit einher, dass man an negativen Gedanken und Ereignissen festhält, die man in der Vergangenheit erlebt hat. Ängste und Sorgen sind damit verknüpft, dass man zukünftige Horrorszenarien entwickelt.

»Wenn Sie vor einer Tür stehen und warten, stehen Sie vor einer Tür und warten. Wenn Sie sich mit Ihrer Frau streiten, streiten Sie sich mit Ihrer Frau. Das ist Achtsamkeit. Wenn Sie vor einer Tür stehen und warten und die Wartezeit dazu nutzen, sich in Gedanken zusätzlich noch mit Ihrer Frau zu streiten – dann ist das nicht Achtsamkeit. Dann ist das einfach nur blöde.«

Karsten Dusse – Achtsam morden

Achtsamkeit ist im Wesentlichen eine Geisteshaltung, die im alltäglichen Leben angewandt werden kann. Im Wesentlichen geht es darum, sich im Moment zu befinden und sich ausschließlich auf diesen zu konzentrieren. Es gibt Achtsamkeitsübungen die dabei helfen können, in diesen Zustand zu kommen. Genuss-, und Wahrnehmungsübungen können helfen achtsamer zu werden. Auch Progressive Muskelrelaxation ist etwas, was die Achtsamkeit schult.

Letztendlich kann jede alltägliche Sache achtsam vollführt werden, wenn man folgende Dinge berücksichtigt:

  • Sei bei der Tätigkeit nicht bei dem Ergebnis der Tätigkeit
  • Nimm dir die Zeit, die du brauchst
  • Tu nur diese Sache und nichts anderes
  • Achte auf deine Sinne: Was siehst du, was hörst du, was spürst du (seltener: was riechst / schmeckst du?)
  • Bewerte deine Wahrnehmungen nicht

Auf diese Weise kann Achtsamkeit in den Alltag integriert werden, indem man einfach den Modus ändert, in dem man Dinge tut. Häufig wird man so außerdem schneller und effizienter, weil man sich nicht so schnell in Nebensächlichkeiten verliert oder unnötigerweise die Aufmerksamkeit zwischen verschiednene Tasks hin- und herschaltet.

Akzeptanz

Akzeptanz gehört zu den „dicksten Brettern“ in der Psychotherapie. Viele Störungen verschlimmern sich durch mangelnde Akzeptanz. Die meisten negativen Zustände intensivieren sich, sofern man sie nicht akzeptiert und versucht gegen sie anzukämpfen. Angsterkrankungen eskalieren förmlich durch fehlende Akzeptanz. Keine Angst haben zu wollen, führt zur Angst vor der Angst und damit kann aus einer herkömmlichen Angst eine hausgemachte Panikstörung werden.

Ich unterscheide Akzeptanz in zwei verschiedene Stufen:

Die Akzeptanz des Faktischen

Manchmal geht es einfach darum eine Tatsache zu akzeptieren. Dies fällt vielen Menschen schwer. Bei Trennungen ist es häufig so, dass die Betroffenen zunächst nicht den Fakt akzeptieren können, dass man sein Leben nicht wie gewohnt teilt. Auch im Todesfall muss erst einmal realisiert und akzeptiert werden, dass eine Person nicht mehr unter den Lebenden weilt. Dies ist häufig schon eine schwierige Aufgabe, ist jedoch der leichtere Teil der Akzeptanzarbeit.

Emotionale Akzeptanz

Nachdem tatsächliche Fakten integriert wurden, gerät die eigene Befindlichkeit in den Fokus. Wenn wir beim Trennungsbeispiel bleiben, könnte jemand sich nicht zugestehen traurig oder niedergeschlagen zu sein, weil er stark und lebensfroh sein möchte. Diese Emotionale Vermeidung stört jedoch die Emotionsverarbeitung, das erlebte wird nicht integriert und letztendlich werden sich die negativen Emotionen ständig reaktualisieren. Schmeißen wir die Angst, die Wut, die Trauer vor die Tür, werden sie anklopfen – und das wahrscheinlich nicht leise.

Hier wird deutlich wie wichtig Akzeptanz für die psychische Gesundheit ist: Einerseits müssen wir fakten anerkennen, die wir nicht ändern können. Zweitens müssen wir auch unsere Emotionen anerkennen – Sie lassen sich auf direktem Wege ohnehin nicht ändern.

Defusion

Wie oben beschrieben, sind Menschen schwachsinnsgenerierende Maschinen. Mindestens 90% unserer Gedanken sind „Quark“, der nicht wahrheitsfähig oder wahrheitspflichtig ist. Wir selbst können jedoch im Rahmen bestimmter Grenzen entscheiden, ob wir:

  • den Gedanken akzeptieren oder nicht
  • uns an dem Gedanken festhalten oder nicht
  • wir den Gedanken ziehen lassen oder nicht
  • wir den Gedanken in seiner Qualität verändern
  • wir den Gedanken einordnen oder nicht
  • wir den Gedanken glauben

Gedanken sind in erster Linie Gedanken und wie mehrfach erwähnt häufig unsinniges Zeug. Viele neigen dazu dies zu glauben und unterwerfen sich damit dem Gedanken. Gedanken sind etwas, wofür man sich nicht verurteilen sollte – Gedanken passieren. Wir integer, moralisch, tugendhaft wir sind, zeigt uns nicht darin, wie wir denken, sondern darin wie wir mit diesen Gedanken umgehen.

Einige Patienten haben Zwangsgedanken, sie haben Vorstellungen davon anderen etwas anzutun oder unmoralische Dinge zu tun. Wenn sie es jedoch schaffen die Gedanken nicht festzuhalten und ziehen zu lassen, können sie besser mit der Störung umgehen. Wenn sie diesen Gedanken als Zwangsgedanken einordnen, und sich sagen, dass dies „Random Bullshit“ ist, fällt es ebenso einfacher mit dem Gedanken umzugehen.

Damit Gedanken weniger bedrohlich wirken kann es hilfreich sein, wenn wir Gedanken verzerren, indem wir:

  • Sie wie ein Startenor singen
  • wie ein Papagei sprechen
  • gaaaaaaaaaaaaaaaaaanz laaaaaaaaaaaangsaaaaaaaaaaam spreecheeeeeen
  • oder den Gedanken ganz schnell hintereinander aufsagen

Eine Praxis kann sehr hilfreich beim Umgang mit den eigenen Gedanken sein. Fragen Sie sich immer: Ist dieser Gedanke hilfreich, um mich in Richtung meiner Werte zu entwickeln? Wenn nein: Gibt es einen Gedanken, der ein klein wenig hilfreicher sein könnte?

Beobachterselbst: Selbst als Kontext

Das Selbst wird häufig als das sogenannte Selbstkonzept verstanden. Das Selbstkonzept umfasst Ideen, Einschätzungen, Informationen und Bewertungen unsererselbst. Das Beobachterselbst, kann man fast schon als das komplette Gegenteil des Selbstkonzepts sehen, nämlicher einer momentanen aktuellen Selbstwahrnehmung. Kurz: Was nehme ich im Moment an mir selbst wahr?

Selbstkonzeptabrufe sind häufig sehr stabil. Häufig helfen sie in der Situation nicht unbedingt dabei Handlungen zu regulieren, vor allem dann nicht, wenn es sich um negative Selbstkonzeptinhalte handelt. Wenn man sich für „dumm“, „unsportlich“, „fies“, „gemein“ oder sons tetwas hält, ist das eine stabilie Selbstzuschreibung. Man hat dann wenig Zutrauen darin diese Eigenschaft ändern zu können.

Das Beobachterselbst ist immer nur eine Momentaufnahme. „Ich bin müde.“, „Ich habe lange nichts gegessen.“, „Ich habe Lust mich zu bewegen.“ sind momentane Selbstbeobachtungen. Diese können viel leichter in Verhalten transformiert werden. Wenn man müde ist kann man schlafen, oder beim nächsten mal darauf achten ausgeschlafener zu sein. Doch was mache ich nun, wenn ich dumm bin? Gegenfrage: Ist es hilfreich sich ein scheinbar unveränderliches Attribut zu geben? Macht es nicht mehr Sinn, sich auf das zu fokussieren, was man verändern kann?

Um eine selbstbeobachtende Haltung zu üben kann es sinnvoll sein, sich mehrmals am Tag folgende Fragen zu stellen:

  • Bin ich erschöpft? Müde? Durstig? Hungrig?
  • Welche Emotionen sind gerade präsent?
  • Wie fühlt sich mein Körper momentan an?
  • Was könnte ich gerade tun, damit es mir ein klein wenig besser geht?
  • Möchte ich an dieser Situation etwas ändern? Wenn ja: Was?

Dies kann helfen, seine Selbstbeobachtung zu aktualisieren. Dies kann zum Beispiel dabei helfen sich nicht über Belastungsgrenzen hinaus zu verausgaben, oder zu viel Zeit mit Dingen zu verbringen die einen nicht fördern oder fordern.

Prägnanter: Selbstbeobachtung kann uns dabei helfen, dass wir nicht an uns selbst vorbeilaufen.

Engagiertes Handeln

Engagiertes Handeln ist zum einen wirksam und zum anderen wertegeleitet. Ohne Werte oder bei Unkenntnis der Werte oder bei konfligierenden Werten wird engagiertes Handeln nur schwer möglich sein. Sofern uns Gesundheit wichtig ist, kann es wichtig sein streng Diät zu halten, um nicht an Gewicht zuzulegen. Andererseits kann es auch für die psychische Gesundheit kurzfristig sinnvoll sein etwas Süßes zu essen, um seine Glukosespeicher wieder aufzufüllen. In diesem Fall kann ein Handeln schon innerhalb eines Wertes unwirksam werden.

Sofern eine relative Werteklarheit besteht, kann es immernoch geschehen, dass Handlungen unwirksam sind. In der Entwicklung von Menschen passiert es häufig, dass Menschen bestimmte Handlungen vollziehen, welche im weiteren Verlauf unwirksam werden. Aktiv Hilfe zu suchen, kann eine sinnvolle Handlung sein, um Konflikte zu vermeiden, die aufgrund von Missverständnissen oder Fehler auftreten. Bittet man jedoch zu oft um Hilfe oder versichert sich zurück, kann es zu Spannungen kommen, weil die Mitmenschen zunehmend genervt oder gereizt reagieren. Die Strategie wird damit unwirksam, obwohl weiterhin der Wert „harmonische Beziehungen“ zu Grunde liegt.

Es ist daher sinnvoll sich folgende Fragen hin und wieder zu stellen:

  • Ist mein Handeln von Werten unterfüttert?
  • Kann ich mich auf anderen Wegen in Richtung der Werte bemühen?
  • Bewegt mich das Handeln von anderen Werten weg?
  • Kann mein Handeln zum gewünschten Ergebnis führen?
  • Ist das Handeln gut, oder nur gut gemeint?

So kann man schnell einen Überblick darüber bekommen, ob das eigene Handeln wirksam und wertgeleitet ist.

Werte

Gedanken und Gefühle können wir nur bedingt verändern. Häufig sind wir ihnen ausgeliefert und wollen sie am liebsten direkt ändern, was nur gar nicht oder bedingt funktioniert. Viele Menschen haben daher Ziele wie: Ein glückliches Leben führen, zufrieden zu sein oder nicht mehr traurig zu sein. Kurz: Ziele, die sich unserem direkten Einfluss entziehen. Schlimmer noch: Freude und Glückempfinden sind Zustände, die unser Körper schnell gegenreguliert, weil sie mit einem erhöhtem Erregungsniveau einhergehen.

In der Akzeptanz und Commitment Therapie wird sauberes und schmutziges Leid unterschieden. Sauberes Leid wird jedem von uns widerfahren. Wir alle werden zu bestimmten Zeitpunkten in unserem Leben traurig, wütend oder verzweifelt sein. Wenn wir mit diesem sauberen Leid nicht sorgsam umgehen, kann es zu schmutzigem Leid werden. Dies kann bedeuten: dass wir mit den schlechten Gedanken verkleben (Fusion), dass wir negative Selbstkonzepte anlegen oder konservieren, wir Fakten oder Emotionen nicht als solche akzeptieren, wir uns in Zukunft oder Vergangenheit flüchten, unsere Werte in Frage stellen oder wider unsere Werte handeln. Kurz gesagt: sauberes Leid + psychische Rigidität = schmutziges Leid.

Werte sind im Leben unsere Markierungspunkte, unser Kompass, unser Leuchtturm. Wir können unsere Werte frei wählen und können uns entscheiden, sich zu ihnen hin oder von ihnen weg zu bewegen. Werte geben uns die Möglichkeit unser Leben und unser Handeln mit Bedeutung anzureichern und ein erfülltes Leben zu führen. So kann selbst ein leidvolles leben zu einem sinngetragenen Leben werden, sofern man sein Handeln anhand der Werte ausrichtet und wirksam handelt.

Folgende Fragen sind daher im therapeutischen Verlauf immer wieder sinnvoll:

  • Wofür brenne ich? Wofür begeistere ich mich? Was ist mir wichtig?
  • Bewege ich mich auf meine Werte zu oder von Ihnen weg?
  • Ist das, was ich momentan mache, wichtig für mich?
  • Hilft das, was ich tue mir langfristig dabei meine Werte zu leben?
  • Wofür möchte ich im Leben stehen?
  • Was würde ich tun, wenn niemand gerade zuschaut?

Diese Fragen können dabei helfen sich wieder auf die Werte auszurichten, bzw. in die Wertklärung zu gehen.

Psychische Inflexibilität

Nachdem wir nun überblicksartig gesehen haben, was alles zur psychischen Flexibilität beiträgt, ist es sinnvoll noch einmal zu schauen was langfristig dafür sorgen wird, dass wir nicht flexibel mit psychischen Belastungen umgehen können.

Psychische Flexibilität

Beim Blick auf dieses Schaubild, fragen sie sich bitte „Wo hänge ich fest?“. Vermeiden sie negative Emotionen? Sind sie ständig in der Zukunkft oder der Vergangenheit? Können sie sich nicht von Gedanken lösen? Gibt es Anschauungen über sich selbst, die sie am fortkommen hindern? Sind sie sich ihrer Werte bewusst? Und: Schaffen sie es wirksam und wertgeleitet zu handeln?

Wenn sie merken, dass sie irgendwo „kleben“ konsultieren sie den Therapeuten ihres Vertrauens.


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