Achtsamkeit

Bei der Achtsamkeit geht es um die Anwesenheit im Hier und Jetzt. Sowohl der fortwährende Blick in die Zukunft, als auch das Haftenbleiben in der Vergangenheit entfernen und entfremden uns vom Leben in der Gegenwart. Achtsamkeit ist einer der Faktoren psychischer Flexibilität. Und ja, es ist augenscheinlich: An der Vergangenheit kleben hat häufig mit Trauer oder Reue zu tun. Ein zu hoher Fokus auf Zukunftsfragen hingegen eher mit Ängsten, Anspannung oder Druck.

Achtsamkeit ist prinzipiell eine Haltung, die theoretisch immer und überall eingenommen werden kann. Mit Achtsamkeit ist prinzipiell eher eine Konzentration nach außen gemeint, wenn man sich im Kontext der Acceptance und Commitment Therapie bewegt. Nach innen gerichtete Aufmerksamkeit entspräche der aktiven Selbstbeobachtung. Durch den Fokus aufs Außen kann man Grübelgedanken, oder Sorgen begegnen, denn wer sich aktiv mit dem Jetzt beschäftigt, wird weder fürs Grübeln, noch für Sorgen Zeit haben.

Da Achtbarkeit eine Geisteshaltung ist, kann man sie auf alltäglicher Basis trainieren. Diese Haltung kann lebensbestimmend werden, wenn man sie lebt. Folgende Grundregeln können dabei helfen achtsam zu sein:

  • Entschleunige dein Handeln – Du darfst langsam sein
  • Fokussiere dein Handeln – Du darfst dich auf eine Handlung konzentrieren
  • Konzentriere dich auf die Sinne – Du darfst deine Sinne einzeln wahrnehmen
  • Bewerte deine Wahrnehmungen nicht – Du darfst dir die Freiheit nehmen nicht zu bewerten
  • Wenn du in die Zukunft oder in die Vergangenheit gleitest, hole dich zurück – du darfst am Anfang auch mal unkonzentriert sein und dich wieder reorientieren

Achtsamkeit kann prinzipiell auf verschiedenen Ebenen praktiziert werden. Ich unterscheide in verschiedene Möglichkeiten der Einbettung.

  • Übungspraktiken der Achtsamkeit
  • Alltagspraktische Achtsamkeit
  • Ritualisierte Achtsamkeit
  • Imaginierte Achtsamkeit

Ich werde im folgenden erläutern, was ich mit den einzelnen Formen der Achtsamkeit meine. Sie sind eine von mir frei gewählte Einteilung.

Achtsamkeitsübungen

Achtsamkeitsübungen können gerade am Anfang der Therapie dabei helfen das Konzept des achtsamen Handelns zu verinnerlichen. Es gibt verschiedene Achtsamkeitsübungen. Ich stelle sie nacheinander vor. Wenn es dir mal nicht gelingt die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten ärgere dich nicht, und lenke sie zurück auf die Wahrnehmung.

Fokussierte Wahrnehmung

Geh hinaus aus deiner Wohnung und begib dich an einen bestimmten Ort. Finde dich an einem Platz deiner Wahl ein, nimm Platz und fokussiere dich auf deine Atmung, Schließe deine Augen. Konzentriere dich auf alles was du hörst. Woher kommen die Geräusche? Wie weit sind sie entfernt? Aus welcher Richtung kommen die Geräusche? Wie klingen die Geräusche? Hell? Dumpf? Tief? Klar? Bewegen sich die Geräusche? Schnalze einmal mit der Zunge und achte auf das Geräusch!

Lasse die Augen geschlossen. Bleibe in deiner Atmung fokussiert und konzentriere dich nun auf deine Tastempfindungen.

Konzentriere dich dann auf alles, was du über deine Haut wahrnehmen kannst. Was spürst du auf deiner Haut? Wo spürst du Druck- und Berührungspunkte? Wie warm oder kalt ist es? Weht ein Wind? Ist es trocken oder feucht? Spürst du irgendwo ein Kitzeln? Druck? Berührung? Spürst du Schmuck? Deine Kleidung? Accesscoires? Wie fühlen sich diese Dinge an? Berühre ein Objekt oder einen Gegenstand und nimm konkret die Oberfläche wahr!

Konzentriere dich nun auf alles, was du über deine Geruchswahrnehmung entdecken kannst.

Was riechst du? Wo hast du die Gerüche schon einmal wahrgenommen? An was erinnern sie dich? Nimm dir die Zeit und atme tief ein und aus.

Du kannst dich nun auf deine visuelle Wahrnehmung konzentrieren. Öffne wieder die Augen. Suche dir einen entspannten Punkt in der Ferne. Welche Farben und Formen kannst du entdecken? Kannst du Bewegungen wahrnehmen? Wie hell oder dunkel ist es gerade? Sind Licht und Schatten erkennbar? Verändert sich die Sättigung der Farben vom Horizont in den Vordergrund?

Versuche nun alle Sinne auf einmal wahrzunehmen. Wie verändert sich deine Wahrnehmung? Du darfst dich nun wieder langsam in den Autopiloten begeben, wenn du magst oder du bleibst noch ein Weilchen achtsam.

Wer suchet, der findet – Aufgabenbezogene Achtsamkeit

Achtsamkeit kann wunderbar durch gezielte Wahrnehmung hevorgerufen werden. Vor allem in Paniksituationen oder bei erhöhter Grübelneigung kann es sinnvoll sein, sich aus der eigenen Nabelschau zu befreien. Geht es darum seine Aufmerksamkeit aus der Selbstbeobachtung ins Außen zu bringen, kann es hilfreich sein seiner Wahrnehmung Aufgaben zu stellen:

  • Finde vier rechteckige / dreieckige / runde / elliptische Objekte im Raum.
  • Was ist das leiseste Geräusch, dass du im Moment wahrnehmen kannst?
  • Finde 5 blaue / grüne / rote / gelbe /… Gegenstände.
  • Welche Menschen in der Umgebung haben farbige Schnürsenkel/ große Nasen/ bunte Hosen?
  • Mit welchem Tier haben die Menschen, die mir begegnen, Ähnlichkeit?
  • Finde etwas Spitzes/ Rauhes/ Flauschiges/ Kaltes / Warmes.
  • Fahre auf einem anderen Weg nach Hause als sonst.
  • Besorge etwas Bitteres / Saures / Scharfes.

Dies sind nur ein paar Beispiele, für Aufgaben, die man an seine eigene Achtsamkeit stellen kann. Welche fallen Ihnen noch so ein?

Achtsamkeit in der Alltagspraxis

Da Achtsamkeit eine Haltung ist, die theoretisch immer und überall trainiert werden kann, macht es Sinn auch alltägliche Verrichtungen einzubeziehen und sich dabei in Achtsamekeit zu üben. Hier sind alltägliche Dinge, die Sie achtsam oder nicht achtsam tun können. Kurzer Backlash: Eine Sache auf einmal. Langsam und konzentriert. Wahrnehmungen nicht werten. Auf einzelne Sinne konzentrieren. Probier doch mal folgende Dinge achtsam zu verrichten. Wähle pro Tag ein anderes aus, was du achtsam probierst.

  • Duschen / Zähne putzen / Ankleiden
  • Kochen / Heißgetränke zubereiten
  • Mül rausbringen / Abwaschen / putzen
  • Essen / trinken
  • Spazieren gehen / Rad fahren
  • Eine Mail / Whatsapp schreiben

Durch die Rotation kann es einfacher fallen bei der Stange zu bleiben. Einfach ausprobieren!

Ritualisierte Achtsamkeit

Es kann nicht schaden sich ein Hobby zu suchen, das Achtsamkeit erfordert. Dies kann sich ganz unterschiedlich gestalten. Ich persönlich spiele gerne Kubb. Das erfordert Präzision, Konzentration, Körperwahrnehmung: kurz Achtsamkeit. Beim Spiel merkt man sofort, wenn man zu ergebnis- oder zielorientiert wird – In der Regel versaut man dann seine Würfe. Viele meiner Patienten golfen. Auch hier wird sofort deutlich, wenn Sie sich mit Dingen beschäftigen, die nicht im Hier und Jetzt liegen.

Wenn möglich integriere ich Teezeremonien in meine sozialen Events oder meine Therapien. Die Konzentration auf die Handhabung der Gaiwan (Braugefäß), die Gerüche und Qualitätswandel beim Aufguss, die Haptik der Keramik, das belebende Koffeein, die Farbe des aufquellenden Tees orientieren sowohl mich als auch meine Patienten im Hier und Jetzt. Auch ein verpatzter Aufguss, der sehr herb oder bitter geworden ist, kann einem eine starke Orientierung im Hier und Jetzt geben.

Welche Dinge eignen sich in deinem Leben für eine achtsame Ausführung? Welche dieser Dinge könntest du gut ritualisieren und in den alltäglichen Tagesablauf integrieren?

Imaginierte Achtsamkeit – Achtsamkeit in sensu

Da Achtsamkeit eine Haltung ist, kann sie auch im Geiste trainiert werden. Es geht im Wesentlichen darum, sich komplett auf eine Situation einzulassen, sich ausschließlich auf diese Situation zu konzentrieren. Hierzu kann man sich zum Beispiel Alltagshandlungen vergegenwärtigen und versuchen sie so genau und präzise wie möglich mit allen Sinneseindrücken zu reproduzieren und vor das innere Auge zu holen. Am sinnvollsten ist es, sich eine Situation zu rekonstruieren, die man sehr genau kennt.

Sicherer Ort – achtsamkeitsbasiert

Stell dir einen Ort vor, an dem du dich in deiner Kindheit immer sicher, wohl und geborgen gefühlt hast. Begib dich im Geiste dorthin. Schau dich um. Was siehst du vor dir? Welche Dinge siehst du zu deiner rechten? Was erblickst du zu deiner linken? Welche Eindrücke hast du, wenn du nach unten schaust? Was begegnet dir, wenn du nach oben blickst?

Welche Dinge erkennst du in der Ferne? Was in der Nähe? Welche Farben und Formen kannst du erkennen? Welche Glanzpunkte und Schatten? Dreh dich vor deinem inneren Auge noch einmal ganz langsam im Kreis und versuche Einzelheiten zu erkennen, die sich um dich herum befinden.

Schließe in deiner Vorstellung nun die Augen. Was kannst du hören? Sind die Klänge und Geräusche nah oder fern? Bewegen sie sich? Sind sie tief oder hoch? Dumpf oder klar? Wie klingen die Geräusche und Klänge im Verhältnis zueinander?

Welche Wahrnehmungen hast du über deine Haut? Ist es warm oder kalt? Ist es feucht oder trocken? Spürst du Wind? Wie fühlt sich deine Kleidung an? Kannst du Schmuck oder Accessoires spüren? Was spürst du im Gesicht? Wie fühlen sich deine Handflächen an? Was spürst du an den Fußsohlen?

Nimm vor deinem geistigen Auge einen tiefen Atemzug und versuche die Gerüche an diesem Ort wahrzunehmen. An welche Aromen erinnern sie dich? Welche Orte kommen dir in den Sinn die ähnlich riechen? Gibt es Erinnerungen, die durch den Geruch auftauchen?

Alltagshandlung – achtsame Rekonstruktion

Hier möchte ich beispielhaft zeigen, wie eine achtsame Rekonstruktion einer Alltagshandlung aussehen kann. Es soll verdeutlichen, was wir im Alltag häufig nicht wahrnehmen, weil wir nicht bei der Sache sind, sondern im Geiste schon mit anderen Dingen beschäftigt sind. Schauen wir uns an, wie ich Tee zubereite.

Ich betrete die Küche: Sie ist hell und warm und ich höre Straßengeräusche, Unterhaltungen und Vögel von draußen. Ich nehme den Wasserfilter zur Hand. Der Griff fühlt sich rauh und genoppt an, das Plastik ist warm und fest. Ich öffne den Deckel, der ein wenig klappert. Meine Hand greift an den Wasserhahn, er fühlt sich lauwarm und glatt an. Das Wasser rauscht, man kann das Tröpfeln im Wasserfilter hören. Ich schließe den Wasserhahn mit einem dumpfen Geräusch beim Einrasten in die Ausgangsfunktion.

Der Wasserfilter tröpfelt weiter vor sich hin. Der Griff der Schranktür fühlt sich geriffelt an. Die Tür qietscht etwas beim Öffnen. Ich greife mir eine Teepackung, sie fühlt sich rauh an, man kann das Etikett auf der Verpackung spüren. Der Aromaverschluss macht ein Geräusch, beim öffnen. Der Tee riecht herb, ein wenig nach Wald und Wiese. Die Teekanne bietet einen etwas unsicheren Griff. Sie ist halbkugelförmig, transparent und das Sieb kleidet die Kanne komplett aus, damit der Tee frei schwimmen kann. Ich schütte etwas Tee in das Sieb. Die Verpackung knistert etwas und der gerollte Tee schlägt klimpernd auf das Sieb.

Das Tröpfeln im Wasserfilter ist verstummt. Der Wasserkocherdeckel macht ein floppendes Geräusch beim Öffnen. Ich gieße das Wasser in den Wasserkocher, das Plätschern des Wassers wird immer höher, je weiter sich der Behälter füllt. Ich schalte den Kocher ein, er piept einmal. Langsam beginnt man ein Rauschen zu hören, das immer lauter wird und schließlich von einem Blubbern begleitet wird. Es steigt Dampf aus dem Ausguß des Geräts hervor.

Ich gieße das Wasser in die Kanne, was ein lautes schwungvolles Plätschern hervorruft. Der Tee wird durch das Sieb gewirbelt und legt sich langsam wieder am Siebboden. Langsam aber gemächlich quellen die gerollten Blätter auf und entrollen sich. Die Blattfarbe ist dunkelgrün, der Tee leuchtet in kräftigem Gelb. Der Aufguss riecht sommerlich, nach Blüten und Gras. Ich nehme das Sieb aus der Kanne und stelle es auf einer Schale ab.

Die Kanne fühlt sich warm an. Ich gieße etwas Tee in die Schale, was mit einem schwappendem Geräusch endet. Das Metallgestell der Kanne klirrt beim Abstellen auf den Tisch. Dampf steigt aus der Schale auf. Das Aroma verbreitet sich im Raum. Die Schale fasst sich rauh und warm an. Der Tee ist heiß an den Lippen. der Geruch erinnert ein wenig an Pflaumen, Blumen und Heu. Er schmeckt leicht süßlich mit einer herben bitteren Beinote. Er fühlt sich warm an.


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