Provokative Therapie

Die Provokative Therapie geht auf Frank Farelly zurück. Sie bringt die Menschen mit sich selbst in Kontakt und kann unheimlich schnell Veränderungen herbeiführen. Es handelt sich um eine humorvolle wertschätzende Form der Therapie. Auch wenn sie von außen für den einen oder anderen wie eine Zumutung aufgefasst werden könnte.

„Die psychische Zerbrechlichkeit der Klienten wird in hohem Maße überschätzt – von ihnen selbst und von anderen.

Frank Farrelly

Ich erlebe immer wieder, wie meine Patienten diesen Stil sehr wertschätzen, während Patienten die das erstmalig beobachten, manchmal etwas irritiert sind.

Liebevolle Karikierung von Weltbildern

Bei der Provokativen Therapie geht es vor allem um die Liebevolle Karikierung von Weltbildern. Was ist damit gemeint?

  • Liebevoll: Der Therapeut geht von der Eigenverantwortlichkeit und Kompetenz des Patienten aus, sich aus seiner Lage selbstständig zu befreien. Er lacht mit dem Patienten, über das aktuell hinderliche Weltbild.
  • Karikierung: Die negativen Weltbilder werden verzogen, verzerrt, übertrieben, so dass Patienten in die Lage versetzt werden über ihre Weltbilder zu lachen. Dies kann einerseits dabei helfen, dass sie sich von diesen distanzieren. Andererseits erzeugt der Humor emotionale Bedeutsamkeit und erleichtert damit Selbstintegration und Veränderungsumsetzung.
  • Weltbilder: Menschen konstruieren sich Weltbilder. Diese können sich für das Erreichen von Zielen und Lebenswünschen als nachteilig herausstellen. Häufig reflektieren wir diese Weltbilder nicht und daher hindern wir uns am Handeln. Vielleicht halten wir Dinge für hilfreich oder unkontrollierbar, die es nicht sind. Dies führt dann dazu, dass wir Handlungsweisen aufrecht erhalten, die es nicht mehr sind, oder nicht Handeln weil wir glauben, dass das Handeln nicht zielführend wäre, auch wenn es positive Ergebnisse hervorrufen könnte.

Letztendlich geht es darum, die konstruierten Weltbilder des Patienten wertschätzend zu karikieren, so dass sie ihre eigenen Hindernisse mit höherer Leichtigkeit überwinden können.

Wachstumsbremsen

In der Provokativen Therapie gibt es drei fundamentale Wachstumsbremsen Faulheit, Feigheit, Fixierung:

  • Feigheit: Menschen wollen sich selbst und andere als Konsistent erleben. Daher haben viele Menschen Angst davor Veränderungen anzustreben. Man weiß nicht, was man bekommen wird. Zudem haben Menschen Verlustängste: Die Idee etwas zu verlieren was man kennt, ist schon im Vorfeld eine unangenehme Erfahrung.
  • Faulheit: Veränderungen bedeuteten die Aufwendung von Kraft. Das Verlassen bekannter Pfade ist immer mit Anstrengung verbunden. Nicht immer sind wir dazu bereit, diese Energie aufzuwenden. Aus diesem Grund arrangieren sich viele mit ihrer Situation aus Angst vor Verhaltenskosten.
  • Fixierung: Menschen bilden Überzeugungen über sich selbst und die Welt. Diese Glaubenssätze, Selbstkonzepte und vielleicht auch internalisierte Ziele, können uns von einem erfülltem Leben abhalten, wenn wir sie nicht Reflektieren, neu bewerten und Integrieren.

Provokative Therapie begegnet diesen Wachstumsbremsen mit Humor. So beginnen sie an emotionaler Bedeutsamkeit und verlieren ihren Schrecken.

Provokative Beziehungsgestaltung

Die Beziehungsgestaltung in der Provokativen Therapie ist in vielerlei Hinsicht anders, als in anderen therapeutischen Settings.

Der beste Indikator für Veränderungen beim Patienten ist die Unvorhersagbarkeit des Therapeuten.

herapeuten.

Milton Erickson

Es handelt sich daher häufig um eine Art positive Verstörung, die an festen Ansichten des Patienten rüttelt, damit diese sich lösen und der Patient damit beginnt, seine Weltanschauungen neu zu arrangieren.

  1. Draht aufbauen: Der erste Schritt ist es, in die Welt des Klienten einzusteigen. Es geht darum ihn verstehen und seine Sicht der Dinge nachzuvollziehen. Als Therapeut ist es sinnvoll viel zu unterstellen und möglichst wenig Fragen zu fragen (Aktivdiagnose). Der Patient kann jederzeit widersprechen, daher können wir auch durch Aussagen die Welt des Patienten kennenlernen, der Therapeut bleibt dabei stets korrigierbar. Wenn wir eine falsche Hypothese bilden, kann der Patient aktiv gegensteuern.
  2. Brille des Patienten aufsetzen: Wie sieht der Patient die Welt? Was sieht der Patient anders, als ich? So ein Weltbild kann man auch haben? Es geht hierbei nicht darum, den Patienten zu korrigieren oder sein Weltbild zu bewerten. Therapeutisch bleibt man im Weltbild des Patienten.
  3. State the Obvious: Der Therapeut spricht das Offensichtliche aus, auch Dinge die normalerweise aus Höflichkeitsgründen verschwiegen werden wie Übergewicht, schlechter Geruch, das benutzen eines Rollstuhls, renovierungsbedürftiger Zahnstatus, oder auffällige Kleidung. Der Therapeut begibt sich in die Haltung eines Forschers mit kindlicher Neugier, der zum ersten mal der einer neuer Spezies begegnet und versucht alles mögliche über sie herauszufinden.
  4. Verzerren und Übertreiben: Werden sie zum Karikaturenzeichner das Patienten. Verzerren sie seine Eigenarten, Heben sie die Auffälligkeiten hervor. Übertreiben Sie! Sorgen sie dafür, dass der Patient anfängt, sich gegen ihre Übertreibungen zu wehren.
  5. Globalisieren: Klienten haben immer eine globale Sicht auf ihr Problem. „Das ist immer so.“, „Alle sagen, das ist ein Problem.“. Wir bringen Klienten dazu ihr Problem zu differenzieren, indem wir globalisieren. „Menschen können sich ohnehin nicht ändern, versuchen sie es gar nicht.“, „Männer sind generell nicht lernfähig.“, „Frauen können ohnehin nichts anderes als Kochen und Kinder.“ Die Patienten werden beginnen zu widersprechen und zu differenzieren.
  6. Teuflische Avokados: Wir geben teuflische Ratschläge. Wir empfehlen ausdrücklich das selbststschädigende Verhalten. Wir nehmen die dunkelste Seite des Klienten und schlagen dem Patienten andere Formen der Selbstschädigung vor. Wir geben wenig hilfreiche Tipps wie man das Problem beseitigen könnte. Wir empfehlen Bettlägerigkeit bei Depression, wir Bitten die Patienten Schilder oder Shirts zu tragen, die sagen, dass sie schüchtern sind.
  7. Begeisterung fürs Symptom: Patienten rechtfertigen sich häufig selbst und kämpfen dagegen an, dass andere sie kritisieren. Häufig bagatellisieren sie oder stellen, ihre Reaktion als nachvollziehbar undverständlich dar. Durch Begeisterung für das Symptom seitens des Therapeuten gelingt es den Patienten häufig zu sich selbst in den Widerstand zu gehen. „Es ist sehr gut, dass sie sich tagsüber ins Bett zurückziehen. Es ist doch gar kein Problem, dass sie einen Kuchen vorbereiten müssen, backen sie ihn einfach im Bett, das ist viel bequemer.“
  8. Bildhafte Sprache: Innere Bilder kann für Patienten Ankerpunkte bilden. Wenn sie beim Betreten von Situationen an diese inneren Bilder erinnert werden, können diese Situationen sich häufig in der Emotionalen Wahrnehmung verändern. Wenn eine Patientin sich in der Chefetage nicht unterordnen kann, kann das Bild helfen, dass Sie sich morgens sehr gut mit Vaseline eincremen muss, damit sie sich mit den Armen voran, besser in den Anus des Vorgesetzten zwängen kann. Es wird komisch riechen – aber man gewöhnt sich dran.
  9. Absurde Strategien: Als Therapeut gibt man bereitwillig schwachsinnige Lösungen. Sie werden am Arbeitsplatzt diskriminiert? Malen sie sich einen Dreitagebart, oder reden sie wie ein alter weißer Mann! Sie schaffen es nicht mehr, das eigene Körpergewicht zu tragen? Besorgen sie sich einen Jetpack und fliegen sie einfach.
  10. Hypnotische Kommunikation: Patienten geraten in Sitzungen in Trance. Durch Humor entsteht eine entspannter, angenehmer Zustand, der mit erhöhter Aufmerksamkeit einhergeht.

Hier wird deutlich, dass sich eine provokative Therapiesituation deutlich von herkömmlichen Therapiesituationen unterscheidet.

Kontraindikationen

Nicht immer sind bestimmte Vorgehensweisen indiziert. Provokative Therapie sollte man unter folgenden Bedingungen eher nicht anwenden:

  • Asympathie: Wenn der Patient euch unsympathisch ist, solltet ihr auf gar keinen Fall provokative Therapie anwenden. Hier passiert es zu leicht, dass aus humoristischer Karikierung, zynischer Spott wird. Dies wird dem Patienten nicht dabei helfen seine Weltanschauung zu Überwinden.
  • Fehlende Selbstschädigung: Wenn beim Klienten keine Selbstschädigung vorliegt, sondern er von außen geschädigt wurde. Ist ein Patient in Trauer, weil er jemanden Verloren hat, oder eingeschränkt durch massive Traumata, ist provokative Therapie nicht hilfreich. Sie hilft nur dann, wenn der Patient sich durch sein Verhalten selbst schädigt, und genau diesen Fakt integrieren sollte. Die Frage ist: Wo stellt sich jemand ein Bein.
  • Patient und Therapeut teilen das Problem: Hast du als Therapeut das gleiche Problem wie der Patient, wird dir eine provokative Intervention nicht gelingen. Du solltest dem Patienten mindestens eine Woche voraus sein.
  • Fehlendes Problemverständnis: Fehlt dir als Therapeut das Verständnis für die Probleme des Patienten und du kennst sein Störungsbild nicht gut, handle nicht provokativ. Provokation setzt ein gutes Verständnis des Patienten und der Störung voraus. Kennst du dich nicht aus, verkommt die Provokation zur peinlichen Masche.

In Zweifelsfalle ist es sinnvoll, zunächst herzlich und wertschätzend eine therapeutische Beziehung aufzubauen, und mit den Provokationen erst bei besserem Verständnis des Patienten zu beginnen.

Bezugnahme zu ACT

Ich denke, dass provokative Therapie perfekt in die Grundlegenden Überlegungen von ACT integriert werden kann. Es beginnt bei den Grundlegenden Überlegungen darüber wie Störungen entstehen und endet in der Anwendung und Evozierung actischer Flexibilitätsfaktoren.

Grundüberlegungen

Die Bezugsrahmentheorie besagt, das Menschen durch Assoziationen verschiedenste Informationen miteinander in Beziehung setzen, die mitunter in der Form vielleicht nicht in Bezug stehen sollten. – Sie bilden ein Weltbild.

Die provokative Therapie setzt sich zum Ziel dieses Weltbild zu verändern, sofern es Menschen daran hindern sollte ihre Lebensziele zu verwirklichen, durch eine wertschätzende liebevolle Grundhaltung.

Humor als Flexibilator

Es gibt im ACT sechs Faktoren der Flexibilität, die durchaus mit der provokativen Therapie interagieren:

  • Achtsamkeit: Das humoristische Vorgehen und der positive Affekt, sowie die verstörende Form der Kommunikation, sorgt dafür, dass die Klienten sich viel mehr im Hier und Jetzt befinden. Sie jammern weniger und spulen weniger Phrasen ab.
  • Akzeptanz: Die Fähigkeit über sich selbst und sein eigenes Verhalten zu lachen, kann uns dabei helfen negative Selbstinhalte zu integrieren und zu akzeptieren.
  • Defusion: Viele Defusionstechniken zielen darauf ab, Abstand zu Gedanken zu entwickeln, die wir als wenig hilfreich erleben. Dabei werden Gedanken und Sorgen verzerrt und entstellt. Provokative Therapie tut dies fortwährend.
  • Selbstbeobachtung: Durch die übermäßige Validierung von Selbstkonzepteinträgen des Patienten, geht dieser zu seinem eigenen Selbstkonzept in Widerstand und beginnt dieses zu reflektieren. In diesem Zuge kann auch die Selbstbeobachtung geschult und verstärkt werden. Wie geht es mir jetzt? Was fühle ich im Moment?
  • Werte: Durch provokative Arbeit können Fixierungen aufgelöst werden, nach innen wie nach außen. Manchmal Fixieren Menschen sich auf die „falschen“ Werte / Ziele.
  • Handeln: Um andere Handlungsweisen zu Implementieren, ist es notwendig den Autopiloten zu verlassen, aus dem wir normalerweise heraus handeln. Durch provokative Therapie können Anker in Form von inneren Bildern etabliert werden, die die emotionale Wahrnehmung einer Situation verändern und damit den Eintritt ins Handeln erleichtern, da wir die Situation nicht mehr so wahrnehmen können, wie wir sie vorher wahrgenommen haben.

Provokative Therapie und ACT lassen sich daher wundervoll miteinander ergänzen.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar