Gewaltfreie Kommunikation ist eine formalisierte Form der Kommunikation, die es ermöglicht, so mit anderen zu kommunizieren, dass eine Annäherung möglich ist, auch wenn die Rahmenbedingungen des Gesprächs „kompliziert“ sind. Marshall Rosenberg, war in Bürgerkriegsgebieten als Streitschlichter unterwegs und ist der Erfinder der gewaltfreien Kommunikation. Vielen fällt es schwer gewaltfrei mit anderen zu kommunizieren, noch schwieriger fällt es den meisten, mit sich selbst zu kommunizieren.
Doch genau diese gewaltfreie Kommunikation mit sich selbst, bietet erst den Schlüssel, um genügend Selbstkenntnis zu sammeln, damit wir mit anderen gewaltfrei kommunizieren können. Daher benutze ich die gewaltfreie Kommunikation in meiner Therapie häufig als Selbstklärungstool. Hiermit verfolge ich mehrere Ziele auf einmal:
- Lernen die Patienten sich selbst besser kennen und reflektieren sich
- Sie lernen Situationen genauer zu beobachten und nicht sofort in Wertungsmuster zu verfallen
- Sie lernen ihre Emotionen kennnen
- Sie lernen Bedürfnisse kennen und können sie von Strategien unterscheiden
- Sie bereiten sich selbst auf ähnliche Situationen vor
- Sie bereiten sich darauf vor, nach außen gewaltfrei zu kommunizieren
Anlass der gewaltfreien Selbstklärung
Als Anlass der gewaltfreien Selbstklärung kann jede Situation genommen werden, die in einer negativen Emotion resultierte. Dies kann Ärger über sich selbst sein, Trauer oder Enttäuschung, oder im Falle von somatisierenden Patienten auch Ohrenpfeiffen, Herzholperer oder andere körperliche Erscheinungen, die sich in Belastungssituationen zeigen.
Sofern es keine aktuelle Situation gibt, die mit solchen Stressfolgen oder Emotionen einhergeht, können auch Situationen gewählt werden, die länger her sind und als sehr prägnant erlebt worden sind.
Schrittfolge in der gewaltfreien Selbstklärung
Der Ablauf bei der gewaltfreien Selbstklärung ist der gleiche wie bei der Gewaltfreien Kommunikation. Sie Umfasst vier Schritte, wobei lediglich der letzte entwas modifiziert ist, im Sinne der Selbstklärung. Die vier Schritte:
- Beobachtung der Situation
- Emotion benennen
- Bedürfnis erkennen
- Bitte an sich selbst formulieren.
Daher nenne ich die gewaltfreie Selbstklärung auch „bebben“. Das klingt etwas spritziger und die Patienten können sich die Anfangsbuchstaben der Schritte besser merken. Im Überblick sieht das so aus:
Beobachtung der Situation
Der erste Schritt ist manchmal schon der schwerste. Die Situationsbeobachtung erfolgt nur anhand erfahrbarer Sinneseindrücke. Es zählt nur was sichtbar, hörbar, spürbar ist. Es geht darum die Situation zu erfassen, ohne sie zu bewerten, ohne dem Gegenüber Gedanken, Wertungen oder Intentionen zu unterstellen. Denn: Die Gedanken und Intentionen des Gegenübers kennen wir nicht. Gelingt diese Stufe der wertfreien Beobachtung nicht, wird es nicht gelingen die weiteren Stufen sinnvoll auszulesen oder man wird sich in eine Wahnehmungsverzerrung begeben.
Emotionen benennen
Viele Patienten haben ernsthafte Probleme damit Emotionen zu benennen. Häufig werden hier dem Gegenüber Intentionen oder Absichten unterstellt, welche die Emotionen umschreiben. Häufig ist es daher am Anfang hilfreich die Emotionsbenennung zu stützen, indem man verschiedene Emotionen anbietet, denen etwas nachgespürt werden kann. Der Wikipediabetrag über Emotionen hilft hier schon weiter:
Bedürfnisse erkennen
Emotionen sind „Bedürfnisanzeiger“, wenn wir negative Emotionen empfinden, bedeutet das, dass wir in bestimmten Bedürfnissen frustriert sind. Positive Emotionen empfinden wir, wenn wir Bedürfnisse befriedigen könnten, negative Emotionen hingegen, wenn wir in der Bedürfniserfüllung frustriert werden. Es gibt verschiedenste Bedürfnistaxonomien und -einteilungen. Folgende Bedürfnisse finden sich häufig im therapeutischen Kontext wieder: Sicherheit, Anerkennung, Zuneigung, Kompetenzerleben, Autonomie, Geborgenheit, Selbstwirksamkeit, Stimulation, Privatheit, Ansehen, Freiheit, Anschluss, Nähe, Intimität.
Strategien vs. Bedürfnisse
Wichtig ist hierbei Strategien und Bedürfnisse voneinander abzugrenzen, und diese unterscheiden zu können. Häufig äußern Patienten Sätze wie: „Ich hatte das Bedürfnis mit ihm zu reden.“ Hier wird also eine Strategie geäußert, um ein Bedürfnis zu erfüllen, kein Bedürfnis als solches, denn mit jemandem reden ist eine Strategie, die bei völlig verschiedenen Bedürfnissen erfolgreich sein kann. Wenn jemand nicht weiß wie eine Aufgabe zu absolvieren ist, könnte er einen Experten fragen um Selbstwirksamkeit oder Kompetenzerleben damit zu erreichen. Nach einem Streit hingegen könnte damit das frustrierte Bedürfnis nach Nähe und Intimität adressiert werden. Man könnte jedoch auch mit jemandem reden, um ihn zu tadeln oder zu maßregeln, mit dem Ziel Angriffe auf die eigene Autonomie abzuwehren.
Hilfreiche Strategien
Die Unterscheidung ist vor allem wichtig, weil Bedürfnisse mit unterschiedlichen Strategien befriedigt werden können. Häufig können Bedürfnisse deswegen nicht befriedigt werden, weil ungünstige Strategien gewählt werden. Die Frage lautet daher auch immer: Kann ich mein Bedürfnis durch andere Strategien in dieser Situation besser befriedigen? Hilfreiche Strategien können eine gute Basis für „die Bitte an sich selbst“ sein.
Die Bitte an sich selbst
In der gewaltfreien Kommunikation wird die Bitte an den Gegenüber gerichtet. Da die Selbstklärung primär der Kommunikation mit sich selbst dient, kann die Bitte daher auch nur an sich selbst gestellt werden. Idealerweise hat sie folgende Struktur: Wenn ich wieder einmal in Situation x gerate, werde ich y tun.
X entspricht dem, was in der Situationsbeobachtung beschrieben wurde. Y entspricht einer hilfreichen Strategie, die es ermöglichen könnte, dass das frustrierte Bedürfnis, bestenfalls doch befriedigt werden kann. Ich werde zum Verständnis ein Beispiel durchdeklinieren:
B: Als ich mit ihm redete, schaute er weg und sprach mit einem anderen Kollegen. Ich traute mich nicht, noch einmal nachzufragen und musste daher stundenlang das Manual lesen und schließlich den Kundenservice anrufen.
E: Ich fühlte mich unsicher, weil ich immer noch nicht wusste wie ich die Aufgabe lösen soll.
B: Kompetenzerleben, Sicherheit
B: Wenn ich merke, dass ein Kollege nicht antwortet (X), versuche ich jemand anderen zu fragen, der sich mit dem Thema auskennt (Y).
Durch die gewaltfreie Selbstklärung wird daher auch eine Verhaltensbahnung in ähnlichen Situationen möglich. Im Wenn-Teil wird ein Trigger oder Anker festgelegt, der einen an die Verhaltensintention im Dann-Teil erinnert. Das nennt man Implementierungsintentionen. Dadurch, dass man festgelegt hat wie die Problemsituation aussieht, und was genau zu tun ist, wird die Umsetzung von Verhaltensvorhaben erheblich vereinfacht.
Zusammenfassung der gewaltfreien Selbstklärung
Ziel der gewaltfreuen Selbstklärung ist es, dass Patienten sich besser kennenlernen und ihre Bedürfnisse und Emotionen einfacher erkennen. Sie sollen dazu in die Lage versetzt werden, notwendige Handlungen zur Bedürfnisbefriedigung leichter zu implementieren. Schrittweise können die einzelnen Fragen nacheinander geklärt werden.
- Beobachtung: Was habe ich gesehen, gehört, körperlich gespürt? Schildere ich meine Beobachtung so, dass ich keine Intentionen und Motive unterstelle?
- Emotion: Welche Emotion empfinde ich? Auf welches Bedürfnis könnte mich die Emotion hinweisen? (Trauer: Nähe, Hilflosigkeit: Sicherheit, Wut: Autonomie). Ist eine der genannten Emotionen Wut? Wenn ja: Welches Gefühl verbirgt sich unter der Wut? (Unsicherheit, Angst, Traurigkeit, Hilflosigkeit?)
- Bedürfnis: Welches Bedürfnis wurde frustriert? Habe ich hier gerade eine Strategie genannt oder ein Bedürfnis? Welche Strategie könnte hilfreich sein? War diese Strategie bisher jemals hilfreich?
- Bitte an sich selbst: Was würde ich in dieser Situation tun, wenn ich sie in der gleichen Art und Weise in Zukunft nochmal erleben würde? Was hätte ich in dieser Situation tun können, damit es mir besser geht? Ist die gewählte Strategie dazu in der Lage bei der Bedürfnisbefriedigung zu helfen?
Zu Beginn braucht die gewaltfreie Selbstklärung etwas Zeit und verläuft häufig noch etwas holperig, je häufiger die Patienten das jedoch üben, desto mehr verstehen sie, „wie sie ticken“ und in welchen Situationen sie sich selbst im Weg stehen und schließlich auch, was sie alternativ tun könnten. Viel Spaß beim „Bebben“.
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